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31. August 2023

Ein noch nie dagewesener Blick ins Gehirn

Forschende am ISTA präsentieren neue Mikrokopie-Technik

Die Danzl-Gruppe am Institute of Science and Technology Austria (ISTA) stellt eine neue Mikroskopie-Technik vor. „CATS“ ermöglicht Wissenschafter:innen die Architektur des Gehirns in verblüffender Detailtreue sichtbar zu machen. Damit können neue Erkenntnisse gewonnen werden, wie sich erkranktes Gehirngewebe verändert. Die Studie wurde heute im Fachjournal Nature Biotechnology veröffentlicht.

„CATS“ ermöglicht detaillierten Blick ins Gehirn. (Links) Visualisierung der Architektur eines hippocampalen Pyramidenneurons (gelb) und seiner Gewebeumgebung. (Rechts) 3D-Rendering einer Nervenzelle mit ihren synaptischen Partnern. © Michalska et al./Danzl Gruppe ISTA/ Nature Biotechnology

Das menschliche Gehirn ist enorm komplex. Milliarden von Nervenzellen befinden sich darin, die durch eine noch größere Anzahl von Synapsen miteinander verbunden sind. Dieses Netzwerk ermöglicht uns Wahrnehmungen zu verarbeiten, Körperfunktionen zu steuern, uns zu bewegen, zu denken und zu fühlen.

Die hochentwickelte Organisation des Gehirns erstreckt sich über verschiedener Gehirnregionen, die über mehrere Zentimeter hinweg zusammenarbeiten. Einzelne Zellen und Billionen von Synapsen verbinden jede Nervenzelle mit anderen. An diesen Synapsen sind die winzigen Proteinmaschinerien, die die Informationen übertragen, im Bereich einiger Zehntel Nanometer angeordnet. Die Lichtmikroskopie ist zwar ein leistungsfähiges Instrument für die Visualisierung, jedoch ist die Auflösung zu gering, um die feinkörnige zelluläre Architektur des Gehirngewebes und vor allem die synaptischen Verbindungen zwischen den Zellen zu entschlüsseln.

Eine neue Methode, die heute im Fachmagazin Nature Biotechnology vorgestellt wird, eröffnet nun noch nie da gewesene Blickwinkel. In enger Zusammenarbeit mit ihren Kolleg:innen am ISTA hat die Danzl Gruppe eine innovative Technik namens CATS (Comprehensive Analysis of Tissues across Scales) entwickelt. Damit können Wissenschafter:innen den Aufbau des Gehirngewebes untersuchen und erhalten einen detaillierten Einblick in ihre gesamte zelluläre Zusammensetzung . Sowohl die Beziehung zwischen Zellen und ihren Synapsen als auch die zellulären Kontexte für bestimmte Moleküle können so besser verstanden werden.

3D Rekonstruktionen von einzelnen Synapsen

Um Zellen unter dem Mikroskop sichtbar zu machen, müssen sie zunächst markiert werden. Herkömmliche Markierungsverfahren, wie die Verwendung von Fluoreszenzfarbstoffen, beschränken sich jedoch auf einige hervorgehobene Zellen oder Moleküle ohne jeglichen Kontext.

Für ihre neue Technik entwickelten die Forscher:innen deshalb eine Strategie zur Markierung der Zelloberflächen und der Räume um die Zellen herum, die die chemische Konservierung bzw. „Fixierung“ des Gewebes nicht stört. Dabei erscheinen die Zellen selbst als Negative. Der anschließende Einsatz von „Super-Resolution“-Lichtmikroskopietechniken – einer verbesserten Lichtmikroskopietechnik – ermöglicht, die Architektur des Gewebes mit einer viel feineren Auflösung zu entschlüsseln, als es mit einem herkömmlichen Lichtmikroskop möglich wäre. Für die Auswertung machten sich die Forschenden die laufende Revolution in der Deep-Learning-Technologie zunutze und integrierten fortschrittliche Analyse Tools.

3D-Rekonstruktion von Synapsen im Hippocampus. 3D-Renderings des zentralen Nervenzellfortsatzes (Gold) und 57 synaptisch verbundene Strukturen (mehrfarbig) rekonstruiert aus CATS-Daten (Graustufen). © Michalska et al./ Danzl Gruppe ISTA/Nature Biotechnology

CATS ermöglicht den Wissenschafter:innen nun, den Standort molekularer Maschinen mit Zellen und Synapsen in Verbindung zu bringen und einzelne Synapsen in 3D zu rekonstruieren. Auch können sie damit feststellen, welche der benachbarten zellulären Strukturen synaptische Verbindungen mit einer bestimmten Zelle bilden.

„Wir sind begeistert von der CATS-Technologie. Sie liefert entscheidende Informationen, die der lichtmikroskopischen Analyse fehlen. CATS macht die Architektur des Hirngewebes als Ganzes sichtbar, anstatt sich nur auf einige wenige Zellen zu konzentrieren. Sie kann Zellen und spezifische Moleküle im Bereich der Mikro- und Nanoebene lokalisieren und bietet uns die Möglichkeit, die Beziehungen der funktionellen Komponenten des Gewebes zu entschlüsseln“, erklärt Johann Danzl.

Interdisziplinäre wissenschaftliche Durchbrüche 

Das CATS-Projekt vereint Fachwissen aus vielen unterschiedlichen Bereichen. Gemeinsam mit Neurowissenschafter:innen am ISTA (Siegert-, Novarino- und Jonas-Gruppe) arbeitete die Danzl Gruppe daran, die verschiedenen Hirngewebepräparate und funktionelle Messungen der neuronalen Aktivität miteinander zu verbinden. Um die Technologie auf menschliche Proben aus Hirnoperationen und archivierten Pathologieproben anwenden zu können, kooperierten sie mit Neurochirurg:innen und Neuropatholog:innen der Medizinischen Universität Wien. So konnten durch die von Erkrankungen des menschlichen Gehirns ausgelöste und verändertet Gewebearchitekturen analysiert werden.

Die Erstautorin und frühere PhD-Studentin in der Danzl Gruppe, Julia Michalska, über das Projekt: „Für mich war es ein großer Ansporn, an diesem Prozess teilzunehmen. Ich bin stolz darauf, dass es uns gelungen ist, eine so hochkarätige, interdisziplinäre Forschungsgruppe für dieses Projekt zusammenzubringen und dass wir der wissenschaftlichen Gemeinschaft dieses Instrument zur Verfügung stellen konnten, welches in den kommenden Jahren hoffentlich von großem Nutzen sein wird.“

Publikation

J. M. Michalska, J. Lyudchik, P. Velicky, H. Štefaničková,  J. F. Watson, A. Cenameri,  C. Sommer, N. Amberg, A. Venturino,  K. Roessler,  T. Czech,  R. Höftberger, S. Siegert,  G. Novarino,  P. Jonas &  J. G. Danzl. 2023. Imaging brain tissue architecture across millimeter to nanometer scales. Nature Biotechnology. DOI: 10.1038/s41587-023-01911-8

Ganzer Text (open access): https://www.nature.com/articles/s41587-023-01911-8

Projektförderung:

Das Projekt wurde mit den folgenden Mitteln gefördert:

Austrian Science Fund (FWF) grant I3600-B27 (J.G.Danzl); Austrian Science Fund (FWF) grant DK W1232 (J.G.Danzl und J.M.Michalska); Austrian Science Fund (FWF) grant Z 312-B27, Wittgenstein award (P.Jonas); Austrian Science Fund (FWF) projects I4685-B, I6565-B (SYNABS) and DOC 33-B27 (R.Höftberger); Gesellschaft für Forschungsförderung NÖ (NFB) grant LSC18-022 (J.G.Danzl); European Union’s Horizon 2020 research and innovation programme, European Research Council (ERC) grant 715508 – REVERSEAUTISM (G.Novarino); European Union’s Horizon 2020 research and innovation programme, European Research Council (ERC) grant 692692 – GIANTSYN (P.Jonas); Marie Skłodowska-Curie Actions Fellowship GA no. 665385 under the EU Horizon 2020 program (J.M.Michalska und J. Lyudchik); und Marie Skłodowska-Curie Actions Individual Fellowship no. 101026635 under the EU Horizon 2020 program (J.F.Watson).

Tierversuchen

Um grundlegende Prozesse etwa in den Bereichen Neurowissenschaften, Immunologie oder Genetik besser verstehen zu können, ist der Einsatz von Tieren in der Forschung unerlässlich. Keine anderen Methoden, wie zum Beispiel in-silico-Modelle, können als Alternative dienen. Die Tiere werden gemäß der strengen in Österreich geltenden gesetzlichen Richtlinien aufgezogen, gehalten und behandelt. Alle tierexperimentellen Verfahren sind durch das Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung genehmigt.



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