4. April 2012
Mini-Infektionen bewirken “Soziale Impfung” in Ameisenkolonien
Die Arbeitsgruppe der IST Professorin Sylvia Cremer beschreibt in ihrer aktuellen Publikation in PLoS Biology, wie sozialer Kontakt mit kranken Ameisen zu Immunschutz bei Nestbewohnern führt.
Ähnlich beengten Megastädten sind auch Ameisenkolonien einem hohen Risiko an Krankheitsausbrüchen ausgesetzt. Diese werden durch das „soziale Immunsystem“ der Ameisen – einer Kombination aus kollektivem Hygieneverhalten und adaptiven Veränderungen der Interaktionshäufigkeiten – und durch das physiologische, angeborene Immunsystem der Koloniemitglieder in Schach gehalten. In der am 3. April im online open-access Journal PLoS Biology veröffentlichten Publikation “Social Transfer of Pathogenic Fungus Promotes Active Immunisation in Ant Colonies” enträtselt die Forschungsgruppe um Sylvia Cremer am IST Austria den Mechanismus, wie die Pflege kranker Ameisen den Immunschutz in Nestmitgliedern fördert. Die Forschergruppe erörtert ihre Ergebnisse auch in der jüngsten Ausgabe des PLoS Podcast.
Ameisen meiden kranke Nestmitglieder nicht, sondern schlecken sie ab, um den Krankheitserreger vom Körper der befallenen Ameisen zu entfernen. Dieses soziale Pflegeverhalten erhöht die Überlebenschancen von befallenen Individuen drastisch, birgt aber ein Ansteckungsrisiko für die pflegenden Ameisen. Die ForscherInnen in Sylvia Cremers Gruppe zeigten nun durch Anbringen fluoreszenzmarkierter Pilzsporen an Ameisen, die danach mit gesunden Koloniemitgliedern interagierten, dass sich die markierten Sporen durch die Kolonie verbreiten. Interessanterweise erfolgt der Transfer von Sporen zu einem sehr niedrigen Grad, und verursacht so nur subletale Infektionen bei den vormals gesunden Nestmitgliedern. Die ForscherInnen stellten fest, dass diese geringfügigen Infektionen die Expression spezifischer Immungene induzieren und die Fähigkeit der Ameisen erhöhen, das Pilzpathogen zu bekämpfen. Zusätzliche mathematische Modellierung legt nahe, dass diese Form der sozialen Immunisierung zu einem schnellen Aussterben der Krankheit in der Kolonie führt.
Soziale Verbreitung von infektiösen Partikeln auf niedrigem Niveau bildet daher die Wirkungsweise der sozialen Immunisierung gegen Pilzerkrankungen in Ameisenkolonien. Dies ist ein Gegenstück der Natur zu den ersten Bemühungen des Menschen, tödliche Infektionskrankheiten, wie zum Beispiel die Pocken, zu bekämpfen. Zu einer Zeit, als die Impfung mit toten oder abgeschwächten Stämmen noch nicht entwickelt war, wurde Immunität durch den aktiven Transfer von Mini-Infektionen – der sogenannten Variolation – erzeugt.
Diese Studie an Ameisen mag auch Implikationen für menschliche Gesellschaft haben, wie Simon Babyan von der Universität von Edinburgh und David Schneider aus Stanford in einem begleitenden, ebenfalls in PLoS Biology erschienen Artikel feststellen: „Die Autoren verwendeten eine Kombination von Methoden, um den Mechanismus der sozialen Immunisierung zu identifizieren: mathematische Modelle, verhaltensbiologische, mikrobiologische, immunologische und molekulare Techniken, welche alle zusammen ein aufregendes proof-of-concept bieten, dass Immunität auf Gruppenniveau experimentell manipuliert und modelliert werden kann. Indem wir soziale Immunität in Insektenkolonien studieren, können wir möglicherweise emergente Eigenschaften entdecken, die wir in einem anderen wichtigen sozialen Tier, dem Menschen, bislang übersehen haben”.
Die Publikation kann auf der PLoS Biology Website abgerufen werden.