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21. April 2022

Sesam, öffne dich: Wie Immunzellen Wände durchdringen

Forscher:innen am ISTA entdecken einen entscheidenden Prozess, damit Immunzellen dorthin gelangen, wo sie gebraucht werden. Studie in Science veröffentlicht.

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Video-Zusammenfassung der Studie veröffentlicht im Fachmagazin Science, von ISTA’s Siekhaus Gruppe (Englisch)

Um an den Ort ihrer Bestimmung zu gelangen, zwängen sich Immunzellen durch die kleinsten Poren. Nicht nur das: Sie durchdringen sogar Wände dicht gepackter Zellen. Der Schlüssel dazu ist die Zellteilung, wie Wissenschafter:innen am Institute of Science and Technology Austria (ISTA) nun herausgefunden haben. Ihre soeben im Fachmagazin Science veröffentlichten Ergebnisse erklären einen Prozess, der für die Heilung ebenso wichtig ist wie für die Ausbreitung von Krebs.

Stellen Sie sich eine alte Steinmauer vor. Dicht aufeinander geschichtet sitzt ein Stein auf dem anderen. Jede noch so kleine Lücke ist gefüllt – ein scheinbar undurchdringliches Hindernis. Während Immunzellen durch unseren Körper wandern, um Infektionen zu bekämpfen, stoßen sie auf derartige Barrieren in Form von Gewebe aus besonders dicht aneinander sitzenden Zellen. Um ihre Aufgabe als Rettungsdienst erfüllen zu können, müssen sie einen Weg durch die Mauer finden. In einer aktuellen Studie haben Wissenschafter:innen der Siekhaus Gruppe am ISTA zusammen mit Kolleg:innen des Europäischen Laboratoriums für Molekularbiologie (EMBL) und drei Schülern des Gymnasiums Klosterneuburg untersucht, wie dies in Fruchtfliegenembryonen geschieht.

Volle Kraft voraus

Während der Entwicklung dieser winzigen, durchsichtigen Tiere breiten sich Makrophagen, die häufigste Form von Immunzellen in Fruchtfliegen, im Gewebe aus. Mit Hochleistungsmikroskopen folgten die Wissenschafter:innen ihrem Weg. „Die Makrophagen kommen an der Wand an und suchen nach der richtigen Stelle, um einzudringen“, erklärt Maria Akhmanova, bis vor kurzem Postdoc in der Forschungsgruppe von Daria Siekhaus und Erstautorin der Studie.

Maria Akhmanova (c) Maria Akhmanova ISTA
Maria Akhmanova ©Maria Akhmanova/ISTA
Professor Daria Siekhaus. Together with her team, Daria Siekhaus investigates how cells move within the complex environment of an organism using the fruit fly as their model organism. © Nadine Poncioni / IST Austria
Professor Daria Siekhaus ©Nadine Poncioni/ISTA

Dort wartet die Pionierzelle, die erste Zelle, die eindringt. Plötzlich beginnt sich ein Teil der Wand zu bewegen. Die Zelle direkt vor der Pionierzelle wird rund. Sie bereitet sich auf die Teilung vor – ein normaler Vorgang ihres Zellzyklus. „Darauf hat die Pionierzelle gewartet“, sagt Akhmanova. Zellkern voran, drängt sie in die entstandene Lücke, während alle anderen Immunzellen folgen. Wie die Siekhaus-Gruppe ebenfalls vor kurzem herausfand, bekommt die Pionierzelle dafür einen zusätzlichen Energieschub, der von einem neu entdeckten Protein gesteuert wird, das die Forscher:innen Atossa nennen. Außerdem fanden die Wissenschafter:innen heraus, dass Immunzellen einen Schutzpanzer entwickeln, der ihren empfindlichen Zellkern schützt.

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Der Schlüssel ist die Zellteilung

Indem die Forscher:innen die Zellteilung gezielt ausschalteten, verlangsamten und beschleunigten, konnten sie nachweisen, dass diese tatsächlich entscheidend dafür ist, ob Immunzellen in das Gewebe eindringen können. Während sich die Gewebezelle teilt, wird die Verbindung zu ihrer Umgebung schwächer. Nicht die veränderte Form, sondern die geringere Bindung zwischen den Zellen ermöglicht es den Immunzellen, einzudringen. Gemeinsam mit dem Labor von De Renzis am EMBL brachten die Forscher:innen die Gewebezellen dazu, rund zu werden. Das allein reichte jedoch nicht aus, um die Immunzellen eindringen zu lassen. „Es war sehr aufregend zu sehen, wie die Makrophagen nur dann in das Gewebe eindringen konnten, wenn die Gewebezelle ihre Verbindungen verlor“, so Akhmanova.

Immune Cells Enter Tissues (c) Maria Akhmanova ISTA
Immunzellen durchdringen Wand. Die Teilung von Gewebezellen (grün), ermöglicht es Makrophagen (lila) in Gewebe einzudringen. ©Maria Akhmanova/ISTA

Weitreichende Folgen für die Krebsforschung

„Dass die Zellteilung der Schlüssel ist, der die Makrophageninfiltration steuert, ist wirklich ein sehr elegantes Konzept mit weitreichenden Folgen“, ist Professorin Daria Siekhaus begeistert. Der gleiche Mechanismus, der den Makrophagen hilft, in das Gewebe einzudringen, könnte auch für viele andere Arten von Immunzellen in Wirbeltieren wie dem Menschen wichtig sein. In Zukunft wollen die Wissenschafter:innen herausfinden, ob Immunzellen vermehrt in Tumore eindringen, um sie von innen heraus zu bekämpfen, wenn sie die Verbindungen oder die Teilung der Gewebezellen manipulieren. Auch Immunzellen, die bei Autoimmunerkrankungen gesundes Gewebe angreifen, könnten so eventuell daran gehindert werden. „Unsere Erkenntnisse sind zudem für alle Forscher:innen von Bedeutung, die sich mit wandernden Zellen im Körper beschäftigen“, erklärt die Zellbiologin.

Für ihre Studie tauchte die theoretische Biophysikerin und Lise-Meitner-Stipendiatin Maria Akhmanova tief in die Welt der Mikroskopie ein. Mithilfe ihrer Mentorin Daria Siekhaus lernte sie alles über die faszinierenden und überaus nützlichen Fruchtfliegen. Unterstützt wurde sie auch von drei Schülern des Gymnasiums Klosterneuburg. Bei einem Schulausflug in die Labore des Instituts entdeckten sie ihre Begeisterung für die Forschung. Daraufhin halfen sie Akhmanova dabei, Fruchtfliegen zu kreuzen und zu identifizieren und schrieben sogar einen Algorithmus, der die Bildanalyse beschleunigte. „Der Erfolg dieses Forschungsprojekts wurde durch die gemeinsamen Anstrengungen vieler Wissenschafter:innen und die enorme Hilfe dreier motivierter Gymnasiasten möglich!“, so Akhmanova.

Publikation:

Maria Akhmanova et al. 2022. Cell division in tissues enables macrophage infiltration. Science. DOI: 10.1126/science.abj0425

Projektförderung:

Dieses Projekt wurde durch Mittel des Österreichischen Wissenschaftsfonds (FWF) im Zuge eines Lise-Meitner-Stipendiums finanziert.

Information zu Tierversuchen:

Um grundlegende Prozesse etwa in den Bereichen Neurowissenschaften, Immunologie oder Genetik besser verstehen zu können, ist der Einsatz von Tieren in der Forschung unerlässlich. Keine anderen Methoden, wie zum Beispiel in-silico-Modelle, können als Alternative dienen. Die Tiere werden gemäß der strengen in Österreich geltenden gesetzlichen Richtlinien aufgezogen, gehalten und behandelt.



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