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9. April 2024

(Un)Erreichbare Aggregatzustände

Neue Assistenzprofessorin am ISTA verbindet ultraschnelle Physik und Quantenmechanik

Das Institute of Science and Technology Austria (ISTA) gewinnt mit der neuen Assistenzprofessorin Denitsa Baykusheva eine Spezialistin für ultraschnelle Laserspektroskopie. Indem Baykusheva die Technologie zur Untersuchung der Wechselwirkung zwischen Licht und Materie aus Sicht der Quantenphysik entwickelt, versucht sie, die Lücke zwischen ultraschneller Physik und Quantenmechanik zu schließen. Dieser Brückenschlag zwischen den Disziplinen könnte zur Entwicklung neuer Materialien und ultraschneller Elektronik führen.

Denitsa Baykusheva
Assistenzprofessorin Denitsa Baykusheva. © ISTA

Als eine der neuesten Assistenzprofessor:innen am Institute of Science and Technology Austria (ISTA), spricht Denitsa Baykusheva an einem geschäftigen Freitagmorgen bei einem Kaffee über ihre Ideen und Pläne. Getreu dem interdisziplinären Auftrag des ISTA forscht sie an der Schnittstelle von Physik, physikalischer Chemie und Materialwissenschaften. Im Zuge eines Doktorats an der ETH Zürich und Forschungsaufenthalten am Stanford PULSE Institute for Ultrafast Energy Science und der Harvard University, spezialisierte sie sich darauf, die Wechselwirkung zwischen Licht und Materie, die durch ultrakurze, intensive Laserfelder vermittelt wird, zu untersuchen. „Meine Forschungsgruppe am ISTA zielt darauf ab, die Bereiche der Ultrakurzzeitphysik und der Quantenmechanik einander näher zu bringen“, sagt Baykusheva.

Licht und Materie: Die Quantenmechanik auf beiden Seiten der Wechselwirkung

Oft als „Klebstoff der Materie“ bezeichnet, sind Elektronen auf mikroskopischer Ebene eigentlich Quantenwesen. In bestimmten Festkörpern gehen die Quanteneigenschaften der Elektronen über die winzigen Skalen der Quantenwelt hinaus. Im großen Maßstab führen sie zu interessanten kollektiven Verhaltensweisen wie Supraleitung oder Quantenmagnetismus. Solche Materialien, die für ihre starken Elektronenkorrelationen bekannt sind, werden oft als „Quantenmaterialien“ bezeichnet. Ihre exotischen physikalischen Eigenschaften machen Quantenmaterialien besonders nützlich für die Forschung, aber auch für die Elektronik, die Photonik, die Energiespeicherung und die Informationstechnologie.

Im vergangenen Jahrhundert haben Physiker:innen meist externe Stimuli wie Druck oder elektrische und magnetische Felder verwendet, um neue Aggregatzustände zu erzeugen und zu verändern. „In den letzten Jahren haben ultrakurze, intensive Laserfelder es ermöglicht, neue Eigenschaften von Quantenmaterialien zu entdecken, indem sie vorübergehende Zustände der Materie außerhalb des Gleichgewichts stabilisieren“, sagt Baykusheva. Bislang wurden ultraschnelle Licht-Materie-Wechselwirkungen jedoch nicht vollständig aus Sicht der Quantenphysik untersucht. Stattdessen wurden die Prinzipien der Quantenmechanik nur auf eine Seite der Wechselwirkung – den Materieteil – angewandt, während das Licht weiterhin als klassisches elektromagnetisches Feld gesehen wurde. Man nennt diese Perspektive daher „semiklassisch“.

Neue Materialien für ultraschnelle Elektronik

Die semiklassische Perspektive konzentriert sich hauptsächlich auf durchschnittliche Lichtintensitäten. Die Anzahl der Photonen kann jedoch charakteristische Fluktuationen aufweisen, selbst im Vakuum, erklärt Baykusheva. Indem sie die Lichtfluktuationen bei Licht-Materie-Wechselwirkungen analysiert, will sie näheres über die intrinsische Fluktuation von Materialeigenschaften erfahren. Diese Informationen sind entscheidend, um die thermischen und Quanten-Phasenübergänge in den Materialien zu verstehen. „Wie sich die starken Korrelationen zwischen Elektronen in Systemen wie Supraleitern auf die Quanteneigenschaften des Lichts auswirken – und umgekehrt – ist noch weitgehend unerforscht“, fügt Baykusheva hinzu.

Baykushevas Arbeit wird dazu beitragen, neue Materialien mit neuen Eigenschaften zu entwickeln: „Das übergreifende Ziel meiner Forschungsgruppe ist es, die ultraschnelle Spektroskopie vollständig in den Bereich der Quantenphysik zu integrieren. Indem wir diese Lücke besser verstehen, gewinnen wir einen tieferen Einblick in die Bildung geordneter makroskopischer Phasen und können so neue Phasen der Materie schaffen.“ Darüber hinaus könnte die Forschung der Baykusheva Gruppe die Entwicklung ultraschneller Elektronik, einer der vielversprechendsten Technologien der digitalen Zukunft, weiter vorantreiben.

Hightech-Laser

Um ihre Ziele zu erreichen, stattet Baykusheva zurzeit zwei spezielle Laborräume mit Spitzentechnologien aus, um zwei komplementäre Aspekte ihrer Forschung unter die Lupe zu nehmen: Zeitauflösung und räumliche Auflösung. „Für unsere Arbeit als experimentelle Forschungsgruppe, die sich auf winzig kleine Messungen mit ultraschneller Optik stützt, müssen stabile Umgebungsbedingungen wie Temperatur und Luftfeuchtigkeit gewährleistet sein“, sagt Baykusheva. Dies ist notwendig, um die Materie auf extrem kurzen Zeitskalen und über winzige Entfernungen zu kontrollieren. „Eines unserer Labore wird mit einem Lasersystem ausgestattet sein, das Photonen bei 800 Nanometern emittiert, also an der Grenze zwischen dem sichtbaren Licht und dem nahen Infrarot“, erklärt Baykusheva.

„Um jedoch die kollektiven Anregungen zu untersuchen, die komplexen Verhaltensweisen der Materie auf der Makroebene zugrunde liegen, müssen wir die Lichtpulse in den mittleren Infrarot- bis Terahertz-Bereich des Spektrums konvertieren. Bei diesen Frequenzen sind die Laserstrahlen für das bloße Auge unsichtbar. Deshalb werden wir unsere eigenen Geräte bauen, um diese Frequenzen zu erzeugen und zu erkennen sowie ihre Photonenzustände zu manipulieren.“ Diese Technologie wird es Baykusheva ermöglichen, Materialien aus dem Gleichgewicht zu bringen und dann ihre atomaren und subatomaren Eigenschaften auf ihren natürlichen Zeitskalen abzufragen. „Das ultimative Ziel ist die Erforschung von Aggregatzuständen, die unter Gleichgewichtsbedingungen unerreichbar sind.“

Bei diesen Experimenten werden die Eigenschaften der Materie auf einer Skala von einigen Dutzend bis Hunderten von Mikrometern untersucht, vergleichbar mit der Größe eines typischen Nebeltröpfchens. Ein derartiger optischer Fokuspunkt ist jedoch viel zu groß, um lokale Quanteneigenschaften mit hoher räumlicher Auflösung zu untersuchen. „Im zweiten Laborraum werden wir Werkzeuge entwickeln, um die Licht-Diffraktionsgrenze zu überwinden und Quanteneigenschaften mit großer Reichweite in Festkörpern, einschließlich Quantenverschränkung, direkt im realen Raum zu untersuchen“, erklärt Baykusheva.

Forschung an der Grenze des Machbaren

Die Gelegenheit, unabhängig am Schnittpunkt mehrerer Disziplinen zu forschen, führte die gebürtige Bulgarin ans ISTA. „Das Ausmaß an Unabhängigkeit und technischer Unterstützung, das ich am ISTA erhalte, sowie die Vertretung der Quantenphysik in der Campus-Gemeinschaft sind so groß, dass es nur sehr wenige Orte wie das ISTA gibt“, sagt sie. „Ganz abgesehen vom Nobelpreis für Physik 2022, der an den Quantenphysiker Anton Zeilinger verliehen wurde, gibt es in Österreich eine lebendige Quanten-Community, die vom ISTA bis hin zu verschiedenen Universitäten reicht.“ Neben dem Aufbau von Forschungskooperationen in Österreich konzentriert sich Baykusheva derzeit darauf, ein Team aufzubauen. „Ich hoffe auf hoch motivierte Student:innen und Postdocs, die bereit sind, Risiken einzugehen und sehr anspruchsvolle Forschung an der Grenze des Machbaren zu betreiben.“



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