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6. Februar 2020

Links oder rechts abbiegen? – diese Gehirnregion entscheidet

Medialer präfrontaler Cortex bestimmt flexibles Verhalten bei Regeländerungen – Studie erscheint in Neuron

Spatial Firing © IST Austria Csicsvari Group
Bei Ratten, die durch ein kreuzförmiges Labyrinth geschickt wurden, zeichneten NeurowissenschafterInnen am IST Austria ein symmetrisches Aktivitätsmuster der Zellen des medialen präfrontalen Cortex (mPFC) auf. Dies gilt als Hinweis darauf, dass die Neuronenaktivität in dieser Gehirnregion für eine relative Positionierung in den beiden Start- (oben und unten; linkes Bild) bzw. den beiden Zielarmen (links und rechts; rechtes Bild) kodiert. © IST Austria – Csicsvari Gruppe

Um von A nach B zu kommen, passen wir unser Verhalten während der Navigation flexibel an veränderte Bedingungen an. Doch wie gelingt uns das? Um die Gehirnfunktionen hinter diesem Verhalten herauszufinden, haben der Neurowissenschafter Jozsef Csicsvari und seine Forschungsgruppe am Institute of Science and Technology Austria (IST Austria) den medialen präfrontalen Cortex (mPFC) näher untersucht. Sie entdeckten dabei: Sobald eine Regeländerung im Spiel ist, unterstützt uns das Wiederabspielen von Aktivitätsmustern in dieser Gehirnregion bei der Anpassung unseres Verhaltens. Ihre Studie erscheint im Fachjournal Neuron.

Komplexe kognitive Aufgaben wie das Navigieren von A nach B erfordern das koordinierte Zusammenspiel mehrerer Gehirnregionen. Eine entscheidende Rolle bei der Navigation spielt der Hippocampus. Er enthält spezielle Neuronen, die als Ortszellen bezeichnet werden. Ortszellen zeichnen eine mentale Karte der Umgebung, durch die wir navigieren, da jedes Neuron nur an einer bestimmten Stelle aktiv ist. Während wir schlafen, wiederholt der Hippocampus dieses Aktivitätsmuster zum Zweck der Gedächtnisbildung. Auch während wir wach sind, findet dieses Wiederabspielen neuronaler Aktivität statt, dann jedoch wahrscheinlich um uns dabei zu helfen, vergangene und zukünftige Entscheidungen zu bewerten.

Im Gegensatz zum Hippocampus ist über die Gehirnregion des medialen präfrontalen Cortex (mPFC) noch weit weniger bekannt. NeurowissenschafterInnen vermuten jedoch, dass auch der mPFC an der Ausführung kognitiver Aufgaben beteiligt ist, und zwar immer dann, wenn diese mit einer plötzlichen Änderung der Bedingungen bzw. Regeln einhergehen. Ein solches von veränderten Bedingungen ausgelöstes Wiederabspielen der neuronalen Aktivität im mPFC konnte während der Schlafphase bereits nachgewiesen werden. Unklar blieb bislang jedoch, ob der präfrontale Cortex komplexe Aktivitätsmuster auch während der Wachphase abspielen kann und falls ja, für welche Art von Informationen die reaktivierten neuronalen Muster kodieren und wie sie mit den vom Hippocampus kodierten Informationen zusammenhängen.

Präfrontaler Cortex verallgemeinert Ortsinformation

Um mehr über die neuronalen Aktivitäten im mPFC herauszufinden, führten der Neurowissenschafter Jozsef Csicsvari und sein Team am Institute of Science and Technology Austria (IST Austria) so genannte Rule-switching-Experimente durch. Dazu wurden Ratten in ein kreuzförmiges Labyrinth gesetzt. Um zu einer Belohnung in Form von Futter in einem der zwei Zielarme des Labyrinths zu gelangen, mussten die Tiere ihr Verhalten – also ihre Navigationsstrategie – an zwei sich abwechselnde und von den WissenschafterInnen definierte Regeln anpassen. Im ersten Fall (Regel A) befand sich die Belohnung stets im selben Arm, unabhängig davon, in welchem Arm die Ratten starteten. Im anderen Fall (Regel B) lotste ein Licht an einem der beiden Zielarme das Tier zur Belohnung.

Plusmaze © IST Austria Csicsvari Group
Die NeurowissenschafterInnen am IST Austria schickten Ratten durch ein kreuzförmiges, vierarmiges Labyrinth, um– einen Zielort mit einer Belohnung aufzuspüren, der nach unterschiedlichen Regeln definiert war. © IST Austria – Csicsvari Gruppe

Die Analyse der elektrischen Signale, die die Rattenhirne während der Navigation durchs Labyrinth sendeten, zeigte, dass sowohl der mPFC als auch der Hippocampus bei dieser Rule-switching-Aufgabe aktiv waren. Allerdings war der Zusammenhang zwischen den Aktivitäten der beiden Gehirnregionen nicht sofort sichtbar. Ähnlich wie im Hippocampus, feuerten die Neuronen im mPFC in Übereinstimmung mit der Position der Ratte im Labyrinth. Anders als im Hippocampus jedoch, wo Neuronen in Übereinstimmung mit einer spezifischen Position in einem spezifischen Arm feuerten, schienen die Neuronen im mPFC diese Information zu verallgemeinern, indem sie in Übereinstimmung mit ähnlichen relativen Positionen verschiedener Start- und Zielarme feuerten. Anders gesagt: Der mediale präfrontale Cortex hob die spezifische, im Hippocampus abgebildete Information auf eine allgemeinere und relative Ebene.

Mentale Umgebungskarte für relative Position

Darüber hinaus entdeckten Professor Csicsvari und sein Team, dass, ähnlich wie im Hippocampus, auch die Neuronen im präfrontalen Cortex während kurzer Zeitspannen – so zum Beispiel während die Ratten am Kreuzungspunkt Halt machten, bevor sie in einen der Zielarme abbogen, oder während sie stoppten, um die Belohnung zu fressen – sequentielle Aktivitätsmuster wiederabspielten und so den Weg durchs Labyrinth nachzeichneten. Auf diese Weise reaktivierten oder wiederholten die Neuronen die Erfahrung, die das Tier am Weg durchs Labyrinth gemacht hatte. Während jedoch durch das Wiederabspielen der Aktivitätsmuster im Hippocampus spezifische Wege in bestimmten Armen nachgezeichnet wurden, bildete der präfrontale Cortex dieselben Wege als verallgemeinerte, relative Positionsinformationen ab.

Reflektieren, planen, entscheiden

Die beobachtete Frequenz dieser Reaktivierung im mPFC – jedoch nicht im Hippocampus – ließ Vorhersagen darüber zu, wie schnell das Tier seine Verhaltensstrategie an die Regeländerung anpasste. PhD-Studentin und Erstautorin Karola Käfer: „Nach der allerersten Änderung von Regel A zu Regel B brauchten die Tiere mehrere Hundert Versuche, bis sie gelernt hatten, ihre Navigation an den unangekündigten Rule-switch anzupassen. Später allerdings gelang es den Ratten, viel schneller zwischen den Regeln zu unterscheiden und wir fanden Anzeichen dafür, dass die Reaktivierung von Neuronen im präfrontalen Cortex während kurzer Phasen des Innehaltens die Ratte dabei unterstützte, die Belohnung schneller aufzuspüren.“

Professor Jozsef Csicsvari fasst zusammen: „Der mediale präfrontale Cortex steht schon länger im Verdacht, bei der Anpassung von Verhaltensstrategien an geänderte Regeln eine Rolle zu spielen. Wir konnten diesen Prozess nun mit spezifischer neuronaler Aktivität in Verbindung bringen, nämlich dem Wiederabspielen von Aktivitätsmustern im mPFC während der immobilen Wachphase. Diese Muster kodieren für relative Positionen, welche durch die spezifische räumliche Information durch den Hippocampus ergänzt werden. Diese Beobachtungen lassen uns vermuten, dass das Wiederabspielen neuronaler Aktivitätsmuster in diesen Gehirnregionen während der Wachphase nicht unbedingt der Langzeitgedächtnisbildung dient, sondern eher in Zusammenhang mit Reflexion, Planung und Entscheidungsfindung im Moment steht.“

Publikation

Karola Käfer, Michele Nardin, Karel Blahna & Jozsef Csicsvari. 2020. Replay of behavioral sequences in the medial prefrontal cortex during rule switching. Neuron. DOI: 10.1016/j.neuron.2020.01.015

Förderinformation

Dieses Projekt wurde über Fördermittel der Europäischen Union finanziert (EU-FP7 MC-ITN IN-SENS #607616.

Tierwohl

Um zu verstehen, wie das menschliche Gehirn funktioniert, ist es unumgänglich das Gehirn von Tieren während bestimmter Verhaltensweisen zu untersuchen. Keine anderen Methoden, wie z. B. in vitro oder in silico-Modelle, stehen hierfür als Alternative zur Verfügung. Die Tiere wurden gemäß der strengen in Österreich und der EU geltenden gesetzlichen Richtlinien aufgezogen, gehalten und behandelt.



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