20. Dezember 2022
Drei neue NOMIS-Fellows starten am ISTA
Die NOMIS Foundation und das ISTA präsentieren drei neue „high risk, high reward“ Stipendiat:innen: Biophysiker Felix Frey, Astronomin Mandy Bethkenhagen und Evolutionsbiologin Louise Fouqueau
In diesem Herbst haben drei neue Postdoc-Fellows ihre wissenschaftliche Arbeit in verschiedenen Forschungsgruppen des Institute of Science and Technology Austria (ISTA) aufgenommen. Damit steigt die Zahl der NOMIS-Fellows am Campus von vier auf sieben. Dank seines interdisziplinären Ansatzes ermöglicht das NOMIS Fellowship Programm hochriskante Forschung in oft übersehenen wissenschaftlichen Nischen.
Drei Jahre besteht die Partnerschaft zwischen der NOMIS Foundation und dem ISTA bereits und wird nun durch die Computerphysikerin Mandy Bethkenhagen, den theoretischen Biophysiker Felix Frey und die Evolutionsbiologin Louise Fouqueau bereichert. Doch diese förmlichen Fachbezeichnungen werden den Wissenschafter:innen nicht gerecht. Sie alle brennen dafür, die interdisziplinäre Forschung voranzutreiben – eines der wichtigsten Ziele des ISTA und das Markenzeichen des NOMIS Fellowship Programms. Dazu arbeiten verschiedene Forschungsgruppen eng zusammen und vereinen unterschiedliche Perspektiven und Ansätze. Unterstützt werden sie dabei durch die hochmodernen Forschungseinrichtungen des ISTA.
Im September dieses Jahres startete Felix Frey, im November folgten ihm Louise Fouqueau und Mandy Bethkenhagen.
Einzigartige Membranen
Wie alle NOMIS-Stipendiat:innen arbeitet Felix Frey in zwei Forschungsgruppen am ISTA-Campus: in der Gruppe der Biophysikerin Anđela Šarić „Computergestützte Physik weicher und lebender Materie“ und in Martin Looses experimenteller Biologiegruppe „Selbstorganisation von Proteinsystemen“. Frey konzentriert sich dabei auf Archaeen, kleine einzellige Mikroorganismen. Er untersucht, wie sich Plasmamembranen bei verschiedenen biologischen Prozessen verformen. Unterstützung bekommt er dabei auch von Buzz Baums Forschungsgruppe an der Cambridge Universität in Großbritannien.
Archaeen sind Einzeller, die weder Bakterien noch Eukaryoten sind. Sie leben oft unter extremen Bedingungen wie hohen Temperaturen, Druck und stark sauren Umgebungen, in denen anderes Leben kaum zu finden ist. Wenig ist darüber bekannt, wie sie unter diesen extremen Bedingungen überleben können. Wissenschafter:innen vermuten, dass ihre einzigartigen Plasmamembranen, welche im Vergleich zu den zweischichtigen Membranen der Bakterien und Eukaryoten nur einschichtig sind, etwas damit zu tun haben könnten. „Diese andere molekulare Schicht eröffnet die Möglichkeit, neue Arten der Membrandynamik zu erfassen, die derzeit noch unbekannt sind“, erklärt der Biophysiker Felix Frey.
„Die einschichtige Membran der Archaeen unterscheidet sich im Wesentlichen darin, dass sie nicht so flexibel, sondern starrer und stabiler ist, als die eukaryotische Doppelschichtmembran. Als Physiker interessiert mich dieses Material sehr“, so Frey. In seiner Arbeit steckt auch eine evolutionäre Frage. Eukaryoten sind aus einem symbiotischen Organismus zwischen Bakterien und Archaeen hervorgegangen. Viele der eukaryotischen Mechanismen zur Membranumformung haben ihren Ursprung in Archaeen. Frey will nun das erste Modell dazu entwickeln, wie die Umformung der Archaeen-Membranen abläuft und es dem Doppelschichtmodell von Eukaryoten gegenüberstellen.
Die Šarić-Forschungsgruppe am ISTA bietet Frey eine wichtige Methode zur Untersuchung von Membranen. Dabei werden die Lipidmoleküle aus denen die Zellmembran besteht, durch Computersimulationen als Perlen dargestellt, welche durch Federn verbunden sind.
Im Labor von Martin Loose werden synthetische Membranen rekonstituiert. Sie dienen Frey als vereinfachte Versuchsplattformen. Außerdem hofft er darauf, mit Kolleg:innen der Universität Cambridge zusammenzuarbeiten, die sich mit Archaeen beschäftigen, wie den Sulfolobus Acidocaldarius, die in heißen Quellen zu finden sind.
„Das Zusammentreffen vieler Disziplinen und Ansätze in meiner Arbeit wird uns helfen zu verstehen, wie grundlegende zelluläre Prozesse in verschiedenen Organismen und mit verschiedenen Materialien funktionieren. Das ist sehr spannend! Bereits meine ersten Monate am ISTA haben mich in meiner Forschung sehr inspiriert“, fügt Frey hinzu.
Im Innern von Eisriesen
Auch Mandy Bethkenhagen beschäftigt sich mit Materialien, allerdings mit astronomischen und nicht mit biologischen. Ihr Thema ist warme, dichte Materie unter einem Druck von etwa einer Million Atmosphären und Temperaturen von mehreren tausend Grad – solche Materialien findet man im Inneren von Planeten und Sternen. Zuletzt hat Bethkenhagen als Marie Skłodowska-Curie-Stipendiatin an der ENS Lyon die Gesteinsmischungen in den Eisriesen unseres Planetensystems – Uranus und Neptun – untersucht. Ein Teil dieser Arbeit, darunter auch Publikationen zu der faszinierenden Frage: „Gibt es Diamantregen auf Uranus und Neptun?“, entstand in Zusammenarbeit mit Bingqing Cheng, Assistenzprofessorin am ISTA. Durch das NOMIS-Stipendium ist Bethkenhagen nun Teil von Chengs Forschungsgruppe für „Computergestützte Materialwissenschaft“. Gemeinsam werden sie sich auf chemische Reaktionen in Exoplaneten konzentrieren.
Die astronomischen Beobachtungen der letzten Jahrzehnte haben über 5.000 bestätigte Planeten unter 3.800 Planetensystemen in unserer galaktischen Nachbarschaft ergeben. Davon sind etwa 500 Kandidaten erdähnlich und/oder wasserreich. In der Exoplanetenforschung hat sich der Schwerpunkt inzwischen von der bloßen Suche nach Exoplaneten auf deren Charakterisierung verlagert. Dazu trägt nun auch Bethkenhagens Arbeit bei. Sie wird mit atomistischen Simulationen chemischer Reaktionen arbeiten, die unter den Hochdruck- und Hochtemperaturbedingungen auf Exoplaneten ablaufen. Dabei wird sie die Dichtefunktionaltheorie verwenden, eine aus der Quantenphysik abgeleitete Methode, mit der sich das Vielteilchenproblem effektiv auf eine Ein-Elektronen-Gleichung reduzieren lässt. Diese wird mit Techniken des maschinellen Lernens kombiniert. „Dieser Ansatz wird dazu beitragen, den Maßstab der Simulationen so weit zu erhöhen, dass die Untersuchung der Thermodynamik solcher Materialien unter hohem Druck leichter zugänglich wird“, erklärt Bethkenhagen.
Bethkenhagen möchte verschiedene Phasen berechnen, in denen sich Atome und Moleküle unter solchen Bedingungen im Inneren von Exoplaneten bilden könnten. Dadurch erhofft sie sich, dass sie mit Aussagen wie „Dieser Planet hat einen Kern“ und „Dieser ist wasserreich“ zur Astronomie beitragen kann. Auf diese Weise könnte sie Planetenmodelle für beobachtete Exoplaneten entwickeln. „Besonders großartig wäre es, wenn meine Forschung eine Weltraummission zu den Eisriesen Uranus und Neptun vorantreibt. Diese wurden nämlich nicht mehr direkt beobachtet, seit die Voyager-Raumsonden in den späten 80er Jahren daran vorbeigeflogen sind”, so Bethkenhagen hoffnungsvoll.
Im Bereich der Astrobiologie heißt es oft: „Folge dem Wasser“. Genau diese Motivation bringt Bethkenhagen in ihre zweite Forschungsgruppe am ISTA: Die von Caroline Muller geleitete Forschungsgruppe für „Dynamische Prozesse in Atmosphäre und Ozean“. Mullers Forschung wird davon angetrieben, warum sich das Leben auf der Erde und nicht auf anderen Planeten des Sonnensystems gebildet hat. Mit ihrem Fachwissen über den am besten untersuchten Wasserplaneten bringt Muller einen erdwissenschaftlichen Aspekt in Bethkenhagens Arbeit ein. „Caroline Muller untersucht die Dynamik der Atmosphäre und der Ozeane. Ich habe bisher nur das Innere der Planeten untersucht. Eine Zusammenarbeit mit Muller würde das Projekt in Richtung Klimamodellierung leiten und wir könnten herausfinden, wie die Atmosphäre der Planeten unsere Forschungsfragen beeinflusst.” Gemeinsam mit Muller möchte Bethkenhagen den Wärmefluss auf Planeten charakterisieren.
„Meine Forschung liegt zwischen Physik, Geowissenschaften und Informatik – eine interdisziplinäre Kombination, die perfekt zu ISTA und NOMIS passt. Die Perspektive sehe ich als besonders spannend, vor allem, da ich jetzt die Möglichkeit habe, mit zwei weiblichen Forschungsgruppenleiterinnen zusammenzuarbeiten”, erklärt sie.
Anpassung durch Selbstbefruchtung
Die dritte NOMIS-Stipendiatin, Louise Fouqueau, schließt sich Nicholas Barton und seiner Gruppe für Evolutionsgenetik am ISTA an, um das Zusammenspiel zwischen Fortpflanzungssystemen und der Anpassungsfähigkeit von Arten zu untersuchen. Dabei wird sie ihre Doktorarbeit fortsetzen, die sie an der 150 Jahre alten Station biologique de Roscoff in der Bretagne – einem Zentrum für Meeresbiologie – begonnen hat.
Am ISTA erforscht sie nun die Pflanze Arabidopsis lyrata. „A. lyrata ist eine selbstinkompatible Art. Das heißt, die Individuen sind Zwitter, befruchten sich aber in den meisten Populationen nicht selbst. An der geografischen Grenze des nordamerikanischen Verbreitungsgebiets werden sie jedoch plötzlich selbstkompatibel und haben eine sehr hohe Selbstbefruchtungsrate”, erklärt Fouqueau. Die Pflanzen bieten ihr die Möglichkeit, theoretische Modelle für die Bedingungen zu erstellen, unter denen sich die Selbstbefruchtung entwickelt. Wenn sie sich einmal entfaltet hat, kann auch gezeigt werden, welche Folgen dies für das Anpassungspotenzial der Populationen hat und ob sie sich problemlos in andere Gebiete ausbreiten können.
Fouqueau bringt Kenntnisse im Ingenieurwesen und Evolutionsstudien mit, die sie an einem agronomischen Institut und an der Universität Montpellier in Frankreich erwarb. Zuletzt promovierte sie über die Anpassung von Arten mit besonderem Augenmerk auf Populationen, die sich am Rande des Verbreitungsgebiets befinden. „Marginalpopulationen sind angesichts des Klimawandels besonders wichtig. Es ist bekannt, dass sich die Arten auf der Nordhalbkugel nach Norden bewegen, wodurch eine geografische Südgrenze und eine Nordgrenze entstehen. Populationen an diesen beiden Grenzen stehen vor Herausforderungen“, erzählt die Evolutionsbiologin.
Die gute Mischung aus Mathematiker:innen, Biolog:innen und Theoretiker:innen in Nick Bartons Forschungsgruppe war einer von Fouqueaus Beweggründen, sich für ein NOMIS-Stipendium am ISTA zu bewerben. Neben der theoretischen Biologie, die in der Barton Gruppe betrieben wird, wird Fouqueau auch Datenanalysen in der Forschungsgruppe von Yvonne Willi an der Universität Basel durchführen.
„Wenn wir uns nur auf Datenanalysen verlassen, vergessen wir oft, dass diese Paradigmen auf theoretischen Modellen beruhen, denen wir nicht kritisch gegenüberstehen. Umgekehrt halte ich es für wichtig, bei der Erarbeitung von Theorien im Auge zu behalten, was auf dem Gebiet wirklich vor sich geht. Deshalb ist es für mich wertvoll, beides gleichzeitig zu tun”, erklärt Fouqueau.
Die Ergebnisse der vielseitigen wissenschaftlichen Arbeiten der neuen NOMIS-Fellows versprechen die Grenzen der wissenschaftlichen Disziplinen zu erweitern. Nach der Vision der NOMIS-Foundation, haben die Stipendiat:innen es nun selber in der Hand, mutige wissenschaftliche Fragen zu stellen.